Leipziger Archive stellen sich vor: Das Archiv Bürgerbewegung Leipzig

Archive stellen sich vor

Diana Stiehl und Saskia Paul

Am 9. Oktober 1989 gingen in Leipzig mehr als 70.000 Menschen auf die Straße und demonstrierten gegen die SED-Diktatur. Mit einer der größten Massendemonstrationen in der Geschichte der DDR am sogenannten „Tag der Entscheidung“ wurde nach 40 Jahren das Ende der SED-Herrschaft und der DDR eingeleitet. Einen Monat später fiel die Mauer und der Weg zur Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten wurde frei. Diesem historisch bedeutsamen Ereignis gingen viele kleine Protesthandlungen voraus. Zahlreiche einmalige Zeugnisse von Opposition und Widerstand befinden sich heute im Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V. (ABL).

Das ABL wurde am 5. Mai 1991 von ehemals aktiven Mitgliedern kirchlicher Basisgruppen und unterschiedlichen Oppositionsbewe­gungen der DDR gegründet. Grundlage des heutigen Archivs bildet die „Markusbib­liothek“, welche analog zur Berliner Umweltbibliothek im Herbst 1988 in Leipzig gegründet wurde. Die Leipziger Markusgemeinde mit Pfarrer Rolf-Michael Turek an der Spitze stellte ihre „Gemeindebibliothek“ als „Umweltbibliothek“ einige Stunden pro Woche zur Verfügung. Dort konnten die Publikationen der politisch alternativen Gruppen (Samisdat u.a.) eingesehen werden. Außerdem erhielten die Gruppen nach den Festnahmen am 11. September 1989 einen Raum mit einem Telefonanschluss in der Markusgemeinde. Gezielt wurden Unterlagen zu den Ereignissen im Herbst 1989 wie Flyer oder Augenzeugenberichte zusammengetragen.

Mitschrift des Kontakttelefons der Koordinierungsgruppe in der Markusgemeinde vom 18. September 1989

Seit der Vereinsgründung sammelt das Archiv die hinterlassenen Selbstzeugnisse der DDR-Opposition, der Bürgerbewegung und der in den Jahren 1989/1990 entstandenen Initiativen und Parteien, um diese zu sichern, dauerhaft aufzubewahren, zu erschließen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Der Archivbestand umfasst ca. 235 lfm und wird im Magazin des Archivs fachgerecht aufbewahrt. Daneben findet man im Archiv Samisdatschriften, Zeitschriften, tausende Fotos und Bücher, Zeitzeugeninterviews sowie Schriften von Aufarbeitungsinitiativen und wissenschaftliche Arbeiten.

Junge Demonstrantinnen entrollen am 4. September 1989 auf dem Nikolaikirchhof in Leipzig ein Transparent, welches von Mitarbeitern der Staatssicherheit heruntergerissen wird

Der Archivbestand und die Bibliothek dokumentieren u.a. Opposition und Widerstand in der DDR, die Chronik der Friedensgebete in Leipzig, die Repressionen durch das Ministerium für Staatssicherheit und staatliche Organe, die Ereignisse im Herbst 1989, den Aufbau demokratischer Strukturen ab 1990 sowie die Tätigkeit des Neuen Forums. Hinzu kommen vermehrt Unterlagen, welche die Erinnerungskultur und die Aufarbeitung der SED-Diktatur nach 1989/1990 betreffen. Das Archiv sammelt, bewahrt und erschließt nach archivalischen Grundsätzen Unterlagen, die sich mit Opposition und Widerstand speziell im ehemaligen Bezirk Leipzig, aber auch darüber hinaus, befassen.

Aufgrund zahlreicher Schenkungen und Leihgaben erfährt der Archivbestand eine ständige Erweiterung, in den vergangenen Jahren beispielsweise durch die Vorlässe von Rainer Eckert und Stephan Bickhardt, den Nachlass von Ellen Thiemann, die Unterlagen der Umweltbibliothek Altenburg, der Initiative Frieden und Menschenrechte, der Initiative „Eine Mark für Espenhain“ und das Archiv der VOS (Vereinigung der Opfer des Stalinismus e.V.).

Mit der Sammlung des entsprechenden Schrift-, Bild- und Tongutes strebt das Archiv die Bildung möglichst vollständiger Überlieferungen zu Einzelpersonen und Gruppen der DDR-Opposition, zu Bürgerbewegungen und zu neu entstandenen Parteien und Initiativen im Herbst 1989 an. Es dient der Erinnerung an das geschehene Unrecht und an die Opfer. Kulturgut wird gesichert und ein grundlegender Beitrag zur Erforschung und Auseinandersetzung mit der Geschichte und den Folgen der SED-Diktatur geleistet.

Samisdatschrift „Die Pleiße“, erstellt durch den Arbeitskreis Weltumwelttag Leipzig anlässlich des Pleißepilgerweges am 4. Juni 1989

Auf der Grundlage seiner Archivbestände entwickelt das ABL Ausstellungen, Publikationen und Bildungsangebote. Wir verstehen uns zugleich als Dienstleister für die interessierte Öffentlichkeit. Die Einsicht in die Bestände ist kostenlos. Vor allem Schüler, Studenten, Wissenschaftler und Journalisten nutzen dieses Angebot.

Im Jahr 2014 wurde das Archiv mit dem Deutschen Nationalpreis ausgezeichnet.

Um die in Sachsen vorhandenen Dokumente und Materialien zu Widerstand und Opposition in der SBZ und der DDR unabhängig von den Archivöffnungszeiten für die verschiedenen Nutzergruppen recherchierbar zu machen, wird derzeit eine Onlinedatenbank entwickelt, in die ab September 2019 nach und nach die Bestände von drei unabhängigen Archiven der Bürgerbewegung (dem Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V., dem Martin-Luther-King-Zentrum für Gewaltfreiheit und Zivilcourage e.V., der Umweltbibliothek Großhennersdorf e.V.) eingepflegt werden. Diese drei Archive haben zudem im Juli 2018 den Arbeitskreis der Archive zu Widerstand und Opposition in Sachsen gegründet.

Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V.
(im Haus der Demokratie Leipzig)
Bernhard-Göring-Straße 152
04277 Leipzig

Telefon: 0341/3065175
Mail: info@archiv-buergerbewegung.de
Internet: www.archiv-buergerbewegung.de

Ein Gedanke zu „Leipziger Archive stellen sich vor: Das Archiv Bürgerbewegung Leipzig

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  1. Super! Aber nach heutigen Erkenntnissen waren es über 100 000 Menschen, die am 9. Oktober um den Ring zogen… Und übrigens erinnere ich mich noch gut, wie ich 1988 die allerersten Regale, Bücher & Ordner für die künftige Leipziger Umweltbibliothek (und das geplante „KOZ“…) bei Pfarrer Turek in Reudnitz einräumte… Herzliche Grüße aus Berlin, Martin Jankowski

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