Wenn Akten auffindbar werden – archivische Erschließung aus Sicht eines Nutzers

Archivwahrnehmung, Erschließung, Nutzung
Bericht zum Vortrag von Lars Thiele, Dresden

Der seit 2015 als Recherchedienstleister vor allem in sächsischen Archiven tätige Historiker Lars Thiele ermöglichte den Teilnehmern des Archivtages einen Blick auf die Recherchemöglichkeiten in Archiven aus Nutzerperspektive.

Mit der Bemerkung, er sei „kein stiller Nutzer“, startete Lars Thiele in sein Referat. Er beschränkt sich bei seiner Tätigkeit nicht nur auf Online-Recherchen, sondern ruft auch in den Archiven an, lässt sich zum zuständigen Bearbeiter durchstellen und fragt nach Findbüchern. Vor Ort lässt er sich diese erklären, macht im Rahmen der Benutzung auch auf Unstimmigkeiten in Findmitteln aufmerksam und sucht das Gespräch mit den Mitarbeitern zu einzelnen Beständen. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse vermittelt er an andere Nutzer weiter und unterstützt diese bei ihren Recherchen.

Blick in den Veranstaltungssaal, Foto: Regine Bartholdt / Sächsisches Staatsarchiv

Aus den in seiner bisherigen Tätigkeit gemachten Erfahrungen mit Laienforschern konstruierte Lars Thiele den fiktiven Archivnutzer Heinz Wilfried Schmidt, einen siebzigjährigen Familienforscher, der bereits während seines Berufslebens als Ingenieur für Maschinenbau aktiv in Archiven forschte, viele Quellen und ergänzende Literatur gelesen hat, der strukturiert, aber nur mit bekannten Beständen arbeitet und dabei häufig die Quellendokumentation vergisst. Sicher ein klischeehaftes Bild, das den Zuhörenden aber doch bekannt zu sein schien. Für Herrn Schmidt gilt: „Was nicht findbar ist, ist nicht nutzbar.“

An dieser Stelle empfahl Lars Thiele Archivnutzern, sich mit der Tektonik der Archive und Bestandsstrukturen zu beschäftigen, sich zu trauen, dem Archivpersonal Fragen zu stellen. Dieses gibt in der Regel gerne Auskunft und Erläuterungen – vor allem, wenn für einen Bestand eben noch kein aktuelles Findbuch zur Verfügung steht, sondern mit Abgabelisten oder alten Findmitteln gearbeitet werden muss, weil eine sachgerechte Erschließung bisher noch nicht möglich war.

Anschließend nahm der Referent eine Einteilung der Archive in drei Kategorien vor:

Archivkategorie 1: Die gut strukturierten Bestände des Archivs sind erschlossen, es liegen Findbücher mit ausführlichen Bestandsbeschreibungen und klaren Archivsignaturen in digitaler Form vor. Qualifizierte Mitarbeiter sind stets verfügbar. Es kann eigenständig mit verfilmten und digitalisierten Unterlagen gearbeitet werden.

Archivkategorie 2: Die weniger gut strukturierten Bestände mit teilweise umständlicher Archivsignaturvergabe sind durch Findbücher und Findkarteien in analoger Form recherchierbar, die allerdings keine Bestandsbeschreibungen enthalten. Ergänzende Publikationen und Nachschlagewerke sind vorhanden und trotz der geringen Personalstärke immer qualifizierte Mitarbeiter vor Ort.

Archivkategorie 3: Das Archiv verfügt lediglich über ein Findmittel: die Beständeübersicht, häufig in Form eines PDF-Dokuments. Der Aufbau der Bestände ist unklar und diese sind dadurch für den Nutzer schwer recherchierbar. Das Archiv wird von einem Mitarbeiter ohne archivfachliche Qualifikation betreut, der häufig noch andere Funktionen innerhalb der Verwaltung ausübt. Hier sind Informationen nur mit Hintergrundwissen und der Hilfe des Mitarbeiters zu ermitteln.

Lars Thiele hat bei seiner Recherchetätigkeit in allen drei Archivkategorien positive Erfahrungen gesammelt, merkte aber an, dass die Nutzung der Findmittel oft nicht einfach ist und die Mitarbeiter durch die dann notwendigen Nachfragen sehr beansprucht sind.

In einer „Wunschliste“ führte der Referent die Wünsche der Laienforscher auf:

  • leicht verständliche Bestandsstrukturen
  • Hintergrundinformationen zu den einzelnen Beständen
  • leicht nachvollziehbare und nutzbare Signaturen
  • umfangreiche Verschlagwortung von Inhalten (Namen, Orte…)
  • digital einsehbare und elektronische, durchsuchbare Dokumente
  • mehr online verfügbare Dokumente
  • Transkription verfügbarer Dokumente

An dieser Stelle betonte Thiele, dass Archivnutzer sich durchaus an der Erschließung von Unterlagen beteiligen möchten, wie z. B ein Projekt zur Erschließung der Zeitungsbestände im Stadtarchiv Radebeul zeigt. Wünschenswert ist ein „für den Archivnutzer – mit dem Archivnutzer“. Deshalb die Frage an die Archive: Warum wird nicht mehr Rückmeldung von den Nutzern eingefordert und diese für die Verbesserung der Erschließungszustände genutzt?

Fazit: Erschließungssituation, archivfachliche Qualifikation der Mitarbeiter und finanzielle Situation der Archive in Sachsen sind sehr unterschiedlich. Längst nicht alles, was in einem Archiv verwahrt wird, ist online recherchierbar oder durch ein Findbuch zugänglich, deshalb sollten Archivnutzer immer auch die persönliche Beratung durch die Archivmitarbeiter nutzen.

Ein Diskussionsbeitrag einer Archivarin – und einzigen Mitarbeiterin (Teilzeit) eines Wissenschaftsarchivs – machte das Dilemma der Einzelkämpfer in kleinen Archiven abschließend besonders deutlich: „Glauben Sie mir – Ihre Wünsche sind auch meine Wünsche.“

Katrin Heil
Sächsisches Staatsarchiv

Ergänzende Hinweise der Redaktion:

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