Benutzerorientierte Erschließung der sächsischen Gerichtsbücher

Erschließung, Nutzung
Bericht zum Vortrag von Dr. Volker Jäger, Leipzig

„Gerichtsbücher sind einzigartige Quellen zu Grundbesitzveränderungen, Nachlässen oder Vormundschaften vom ausgehenden Mittelalter bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts und liegen für praktisch alle Orte Sachsens vor. Sie geben Auskunft über Kaufhandlungen, verbriefte Rechte, Besitzerfamilien, verwandtschaftliche Beziehungen, aber auch zum Alltag der Menschen in früheren Jahrhunderten.“ Soweit die einführenden Worte zum Portal Sächsische Gerichtsbücher, Ergebnis eines archivübergreifenden Erschließungsprojektes, das Thema des hier zu referierenden Vortrags war.

Umfang und Dichte der in Sachsen überlieferten Gerichtsbücher ist einmalig in Deutschland. Bereits 1923 erging ein Erlass des Sächsischen Justizministeriums an die Amtsgerichte, der eine Abgabe der Gerichtsbücher an das Hauptstaatsarchiv Dresden empfahl. Die Abgaben durch die Amtsgerichte erstreckten sich bis Ende der 1930er Jahre; im Hauptstaatsarchiv wurden die rund 22.900 Bände zum heutigen Bestand 12613 Gerichtsbücher zusammengefasst. Er umfasst Gerichtsbücher vom Anfang des 15. Jahrhunderts bis um 1856.

Dr. Volker Jäger
Foto: Regine Bartholdt / Sächsisches Staatsarchiv

Gerichtsbücher sind eine Quellengruppe von besonderer Bedeutung für historische Forschungen, von hohem Informationsgehalt auch für Heimat- und Familienforschung. Zu Beginn seines Beitrags ging Dr. Volker Jäger, Leiter des Staatsarchivs Leipzig (Abteilung 3 im Sächsischen Staatsarchiv), auf das breite inhaltliche Spektrum dieser speziellen Gattung der Amtsbücher ein. [Eine sehr gute Einstiegsmöglichkeit in die Materie bietet der einschlägige Beitrag von Dr. Holger Berwinkel in seinem Blog Aktenkunde. Aktenlesen als historische Hilfswissenschaft; auf weitere Erläuterungen an dieser Stelle wird daher verzichtet, T. K.].

Die Gerichtsbücher waren vor Beginn des Projekts nur durch heterogene, teilweise unzureichende Findmittel erschlossen; Recherchen waren aufgrund ungünstiger Strukturierungen schwierig. Ausgehend von dieser Feststellung erläuterte Dr. Jäger die Strategie der Erschließung, die unter Berücksichtigung der Interessen der Nutzergruppen und in Zusammenarbeit mit neun sächsischen Stadtarchiven erfolgte. Zwischen Januar 2013 und April 2016 erfolgte die Bearbeitung durch zwei Projektmitarbeiter im Rahmen einer Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (Kurzzusammenfassung der Projektergebnisse auf der Website der DFG).

Zentrale Punkte waren

Gerichtssuche im Gerichtsbuch-Portal
  • die virtuelle Zusammenführung von Serien von Gerichtsbüchern, die aus historischen Gründen auf verschiedene Archive verteilt sind
  • die Erfassung von rd. 4700 Orten und die Verknüpfung mit dem digitalen Historischen Ortsverzeichnis von Sachsen des Instituts für Sächsische Geschichte und Volkskunde ISGV
  • die Erfassung (und teilweise erstmalige Identifizierung) von rd. 1350 Gerichtsstellen [Gerichtsstelle = Amt, Stadt, Rittergut usw. Die Suche ist nach Gerichtsort und Art des Gerichts (z. B. Leisnig, Amt oder Leisnig, Stadt) möglich, bei Bedarf mit zeitlicher Eingrenzung.]
  • die Erfassung von in den Büchern enthaltenen Registern mit Hinweis auf ihre Lage im Buch
  • die Präsentation der Verzeichnungsinformationen im Portal Sächsische Gerichtsbücher mit flexiblen Recherchemöglichkeiten nach Orten und Gerichtsstellen

Der gesamte Gerichtsbuchbestand wurde schon vor längerem schutzverfilmt. Der Referent konnte nun darüber informieren, dass das Sächsische Staatsarchiv die Schutzfilme hat digitalisieren lassen. Die Online-Stellung der rd. 9 Millionen Digitalisate ist in Planung. [Anmerkung der Berichterstatterin: Es kann mit Spannung erwartet werden, welche Möglichkeiten eines schnelleren Zugriffs z. B. auf einzelne Namen sich künftig mit den Fortschritten bei der Handwritten Text Recognition und dem Keyword-Spotting ergeben werden].

Abschließend informierte der Dr. Jäger über ein nun im Anschluss geplantes Projekt zur ergänzenden Erschließung von 10.000 weiteren sächsischen Gerichtsbüchern, die sich aufgrund der Grenzveränderungen Sachsens um 1815 heute in Brandenburg, Thüringen und vor allem Sachsen-Anhalt befinden. Gerichtsbücher von 400 Provenienzstellen in 10 Archivstandorten nimmt das Projekt in den Blick, 80% der Gerichtsbücher befinden sich im Standort Wernigerode des Landesarchivs Sachsen-Anhalt. Der Antrag liegt der DFG derzeit zur Prüfung vor.

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